Wie alte Batterien als Rohstoffquelle genutzt werden

Die Akkus sind so schwer zu recyceln, lautet ein gängiger Vorbehalt gegenüber Elektroautos. In der Nickelhütte Aue zeigen sie, wie es geht.

In der Fabrikhalle liegen Blöcke aus Kupferspänen. Als die Sonne an diesem Spätsommertag darauf scheint, funkeln und glitzern sie. Was so edel aussieht, ist ein Abfallprodukt, hergestellt und gepresst aus alten Kabeln. Die Kupferblöcke lagern in der Nickelhütte Aue im Erzgebirge. "Wir beschäftigen uns mit Nichteisenmetallen", sagt Geschäftsführer Henry Sobieraj. Man sei in allererster Linie Schrottsammler. Das mag erzgebirgisches Understatement sein, denn die Firma, die es seit 1635 gibt, ist eines der größten deutschen Recyclingunternehmen, mit einem Jahresumsatz von 250 Millionen Euro. Die Firma arbeitet daran, die Bergbautradition des Erzgebirges ins 21. Jahrhundert zu überführen. Nur schlagen mittlerweile keine Bergleute mehr die Erze aus den Bergwerken, um sie nach Aue zu bringen. Heute kommen Kupfer, aber vor allem Kobalt und Nickel aus dem Recycling, zum Beispiel aus alten Lithium-Ionen-Batterien, wie sie in Elektroautos verbaut sind. Früher seien die Rohstoffe aus Bodenschätzen gewonnen worden, jetzt werden die sogenannten Sekundärrohstoffe immer wichtiger. "Das mag vielleicht zweitklassig klingen, ist es aber nicht, ganz im Gegenteil", sagt Sobieraj. Recyclingrohstoffe sind nachhaltig, sie sparen jede Menge Energie und CO₂ ein. Bergbau sei viel aufwendiger: "Im Erz ist vielleicht 0,5 Prozent von dem Rohstoff, der gebraucht wird. Das heißt, 99,5 Prozent müssen wieder in den Berg reingebracht werden." Das kostet Geld, das kostet Maschinen, das kostet Energie. Bei Lithium-Ionen-Batterien gibt es nun welche, die ungefähr 15 Prozent Nickel enthalten: "Sie werden kein Erz finden, das so viel Nickel enthält", sagt Sobieraj. Zudem sei die Konzentration des Wertmetalls viel höher und es liege schon in metallischer Form vor. Und so liegen in den Hallen der Nickelhütte Aue viele gestapelte Paletten, auf denen feuerfeste graue Stahlbehälter stehen. Darin: Lithium-Ionen-Autobatterien. Sie kommen aus Testzentren für Prototypen oder sind Rückläufer aus der Produktion von neuen Batterien. "Wir wissen nicht immer, was uns erwartet", sagt Michael Neumann, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Etwa, ob sie bereits beschädigt sind. Mitarbeiter nehmen die Batterien aus den Behältern einzeln heraus, demontieren sie und setzen die Teile mit Metallbestandteilen auf ein Förderband. Das fährt nach oben zu einem großen, abwärts geneigten Rohr, das sich langsam dreht. Dort drin ist ein Ofen, und bei hohen Temperaturen beginnt der Schmelzprozess. Dabei entsteht unter anderem die sogenannte Schwarzmasse. Das ist keine dunkle Materie, sondern eine Nickel-Kobalt-Mangan-Verbindung. In einer Mischung aus einem pyro- und hydrometallurgischen Verfahren löst die Nickelhütte die darin vorhandenen Metalle wieder auf und gewinnt sie zum Beispiel als Nickelsulfat, Kobaltsulfat oder Kupfersulfat zurück. Auch das wertvolle Lithium steckt in den Akkus, allerdings nur zu drei Prozent. Wie das am besten recycelt werden kann, daran forschen die Chemiker und Ingenieurinnen in Aue noch. Aber sie haben bereits erste Ergebnisse erzielt: in Form von Lithiumcarbonat. Das weiße Pulver, das eine Konsistenz zwischen Zucker und Mehl hat, wird allerdings noch nicht in größeren Mengen hergestellt. "Wir arbeiten daran", sagt Neumann. Denn auch damit sollen wieder neue Batterien gebaut werden können. "Es bleibt im Grunde nichts übrig, was wir auf die Mülldeponie bringen müssen." Pro Jahr recycelt die Nickelhütte Aue 4000 Tonnen Lithium-Ionen-Batterien, Kapazitäten hat sie nach eigenen Angaben für jährlich 10 000 Tonnen. Und da immer mehr Elektroautos auf den Straßen fahren, ist man im Erzgebirge optimistisch, dass man bald ausgelastet sein wird. So gehen Prognosen davon aus, dass allein 2030 in Westeuropa etwas mehr als acht Millionen E-Autos neu zugelassen werden.

Aber die Firma kümmert sich nicht ausschließlich um ein zweites Leben für defekte Lithium-Ionen-Akkus. Pro Jahr verarbeiten die 485 Mitarbeiter im Werk rund 90 000 Tonnen aus nichteisenmetallhaltigen Schrotten und Abfällen, darunter 5000 Tonnen Nickel, 250 Tonnen Kobalt, 12 000 Tonnen Kupfer und etwa 20 000 Tonnen Aluminium. "Es bleibt im Grunde nichts übrig, was wir auf die Mülldeponie bringen müssen", sagt Geschäftsführer Sobieraj. "Und die Schlacke, die im pyrometallurgischen Verfahren entsteht, wird im Straßenbau verwendet." Auf dem Firmengelände liegt diese dann in großen Kegeln zum Auskühlen. Sie sehen so aus, als hätten riesige umweltbewusste erzgebirgische Räuchermännchen hier ihre gigantischen Räucherkerzen abgelegt. Die jahrhundertealte Bergbautradition hört man im Erzgebirge an dem Gruß "Glück auf", mit dem sich alle Mitarbeiter begrüßen, auch die, die um 5.45 Uhr zur Frühschicht starten. Und man sieht sie auch an einem Verwaltungsgebäude, das aus DDR-Zeiten stammt. Über der Tür ist ein eiserner Schwibbogen mit Arbeiterszenen und acht Lichtern angebracht. Er verweist auf die lange Geschichte der Fabrik: 1635 stand hier ein Blaufarbenwerk. Denn im 17. Jahrhundert fanden Bergleute in der Region auch Kupfer, aber vor allem Kobalterz. Daraus wurde in Aue ein Farbstoff aus blauen Pigmenten. Mit diesem verzierten Delfter und Meißner Porzellanmaler fortan wertvolle Kacheln, Teller und Vasen.

Kobalt wird im Erzgebirge schon lange nicht mehr abgebaut, das künstlich hergestellte und damit deutlich günstigere Ultramarin löste bereits im 19. Jahrhundert das Kobaltblau ab. Das Werk in Aue musste sich also neu erfinden, um weiter bestehen zu können, und produzierte um 1850 nun aus den vorhandenen Erzen vor allem Nickel. Das fand zunächst in preiswertem Tafelgeschirr aus sogenanntem Neusilber Verwendung und wurde später vor allem für die Stahlveredelung genutzt. In der DDR stellten die Auer Nickelsalze und Elektrolytnickel her. Die werden für Edelstahllegierungen und Korrosionsschutz genutzt. Dass sich das Werk über Jahrhunderte immer wieder verändert hat, fasziniert auch Geschäftsführer Sobieraj, einen gebürtigen Freitaler, der seit 1996 im Unternehmen arbeitet. "Klar, ich war 1635 nicht dabei, und es ist auch ein sehr weiter Bogen von Kobaltblau zu Lithium- Ionen-Akkus. Aber im Grunde passiert jedes Jahr etwas Neues." Damit das auch so bleiben kann, braucht es gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der vielerorts beklagte Fachkräftemangel ist auch im Erzgebirge ein Thema,"aber bei der Nickelhütte Aue nicht ein so großes", sagt Sobieraj. Das habe zwei Gründe, so sei die Firma ein anerkannter und guter Arbeitgeber. Man habe schon Auszeichnungen wie den als "Arbeitgeber der Zukunft" und den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Zudem sei der Erzgebirger ein regional verwurzelter Mensch, die Leute wandern nicht so einfach ab. Aber auch hier werde der Wettbewerb um Mitarbeiter immer schwieriger. "Im Erzgebirgskreis scheiden jedes Jahr doppelt so viele Menschen aus dem Arbeitsleben aus wie wieder neu eintreten." Da könne man ausrechnen, wann nicht mehr viele übrig seien. "Wir brauchen Menschen, die von außerhalb kommen", sagt Sobieraj. Die Nickelhütte Aue soll ja im besten Fall noch weitere 400 Jahre bestehen.

Von Mirjam Hauck, Süddeutsche Zeitung

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